15 Mädchen, 3 Trainer, ca. 100 Stunden Training und Vorbereitung, 16 Pflicht- und mit dem Hinspiel das erste von 2 Kürspielen, 650 Auswärtskilometer – das sind die nackten Zahlen der Saison vor dem Höhepunkt, dem Finale in Erftstadt. Einem Showdown, den selbst eine Tess Gerritsen, ein Frank Schätzing oder ein Jussi Adler-Olsen nicht besser hätten inszenieren können: Erster gegen Zweiter, ein echtes Derby, bester Angriff gegen beste Abwehr, Heimvorteil Erftstadt gegen ein knappes Hinspiel (16:14 für den TVP), kein ausgemachter Favorit, beide schon für die Mittelrhein-Talentiade qualifiziert, mit insgesamt 7 HVM-Auswahlspielerinnen die Creme de lá Creme des 2002er-Jahrgangs auf einer Platte, 250 Zuschauer und eine kochende Halle – die Zutaten für einen echten Kracher waren angerichtet. Ein kleines bißchen Sorgen machte uns Hannahs Knie, am Donnerstag mußte sie das Training abbrechen, aber heute gibt es von ihr ein OK. Im Zweifelsfall ist Adrenalin das beste Schmerzmittel…
Rechenspiel: Palmersheim ist Meister, sobald wir mindestens einen Punkt im Sack haben oder mit nur einem Tor Unterschied verlieren. Bei einem exakten 16:14 für den HVE ist Erftstadt wegen der besseren Gesamttordifferenz Meister. Wir können mit 2 Toren verlieren, wenn wir mehr Auswärtstore werfen. Ab 3 Toren Differenz ist Erftstadt Meister.
Unsere Spione, die das Spiel in Geislar angesehen hatten, berichteten, daß Erftstadt sich taktisch noch einmal verbessert hatte. Aber auch wir hatten schon gegen Bonn neue Möglichkeiten erfolgreich getestet. In der Kabine noch einmal Konzentration, diesmal wollen wir keinen Schlafstart – aber heute sind alle hellwach. Björn bittet noch den Schiedsrichter, die Trommler vom Spielfeldrand nach oben zu schicken, da geht es auch schon los. Erste Überraschung: die starke Erftstädterin Franka (die mit dem Stirnband) nicht in der Start-Sieben. Was hat der Trainer-Fuchs Michael Bunk vor? Egal, Palmersheim hat den ersten Angriff, Emilia überrascht die Abwehr mit einem Freilaufen nach Doppelpaß, 1:0, so darf es weitergehen. Den sofortigen Erftstädter Ausgleich beantwortet Adriana, die den messerscharfen Paß von Marei fängt, mit einem unhaltbaren 2:1. In der Abwehr ist Melli von Anfang an auf dem Posten, gewinnt den Ball, den folgenden Angriff schließt Yasmine nach Adrianas Einläufer ab – 3:1, der Start ist schon mal geglückt. Aber Erftstadt schlägt zurück: das 2:3 nach einem Solo über Außen, und der Ausgleich nach einem überraschenden Distanzwurf zum Schluß eines 2-Minuten-Angriffs, bei dem unsere Abwehr kein Durchkommen zugelassen hat. Nachdem ein Zauberpass von Yasmine leider nicht gefangen wird, kann Erftstadt sogar erstmals die Führung übernehmen. Wir sagen die Variante „Paris“ an, die Marei erfolgreich mit dem Ausgleich abschließt – 4:4 nach gespielten 11:17, alles wieder auf Start. Hannah hält ihren ersten 7-Meter, aber in unserem Angriff herrscht leichtes Chaos. Yasmine, der Michael Bunk die starke „9“ als Gegenspielerin zugeteilt hat, versucht dieser durch Rochaden in die Mitte zu entgehen, wodurch zwar Platz für Adriana ist, die aber jetzt Mareis Pässe nicht mehr fängt und in der Folge ein bißchen übermotiviert agiert. Erftstadt geht in Führung, vorne passt bei uns im Moment gar nichts. Da es in der Halle mittlerweile so laut ist, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, gehen auch alle taktischen Anweisungen unter. Nachdem Erftstadt den nächsten 7-Meter drüber wirft, aber danach erstmals mit den mindestens benötigten 2 Toren in Führung geht, kommt Franca für Adriana, aber auch Franca fängt den Pass von Marei nicht. Hannah hält ihren zweiten 7-Meter, wir verlieren wieder den Ball und Erftstadt kann durch einen erneuten Distanzwurf auf 7:4 erhöhen. 25 Sekunden vor Schluß werden uns dummerweise Schritte abgepfiffen, bei 19:44 auf der Uhr nimmt Michael Bunk die Auszeit, um mit 4 Toren in Führung zu gehen. Aber unsere Abwehr steht, Erftstadt kommt nur noch zu einem sehr weiten Distanzwurf, der eine sichere Beute für Hannah ist. Mit etwas Frust geht es in die Kabine. Wir machen gar nicht viele Worte, die Mädels wissen selber, was schief läuft. Wir erinnern lediglich an das, was wir im Training geübt haben, die Lücken sind da, müssen nur genutzt werden. Taktisch bleibt noch zu erwähnen, daß beide Mannschaften ein sehr diszipliniertes Rückzugsverhalten gespielt haben, es gab nicht einen einzigen TG!
Adriana kommt zurück und die Mädchenpower mit neuer Motivation aus der Kabine, jetzt ist die power auch in den Gesichtern zu sehen. Der erste Ball wird gleich geholt, ruhig aufgebaut, Yasmine nutzt eine der wenigen Unaufmerksamkeiten ihrer Gegenspielerin, markiert den ersten Treffer der zweiten Halbzeit und gleichzeitig das Signal zur Aufholjagd. In der Abwehr wird jetzt gerückt und gekämpft, gegen die große „12“ wird notfalls zu dritt gegengehalten. Der nächste Ball ist unserer, wieder wird „Paris“ angesagt, Marei wirft den gefühlten zwölften Zauberpass, den die eingelaufene Yasmine fängt – nur noch 7:6. Hannah hält ihren dritten (!!!) 7-Meter, vorne läuft erneut Yasmine ein, Adriana täuscht den Paß an und nutzt dann den freien Raum – Ausgleich nach 5 Minuten. Jetzt entwickelt sich ein wahrer Krimi: Erftstadt kann mit vereinten Kräften die Führung wieder herstellen, vorne setzt sich Melli schön ab und wird gehalten – der erste 7-Meter für den TVP. Marei läßt der Torhüterin keine Chance, 8:8. Die Erftstädter Franka erwischt Hannah auf dem falschen Fuß, im Gegenzug wird erneut Melli gehalten, Marei verwandelt auch ihren zweiten 7-Meter sicher, 9:9. Noch ist für Erftstadt alles drin, wir müssen aufpassen. An Melina vorbei ist in der Mitte kein Durchkommen, deshalb verlegt sich Erftstadt auf die Flügel. Franzi drängt ihre Gegnerin sehr gut nach außen ab, die trotzdem einen fast unmöglichen Wurf nimmt und überraschend trifft – wieder führt Erftstadt. Einen zu ungenauen Paß vorne fangen die Erftstädter ab, können aber trotzdem keinen TG laufen, weil Marei und Yasmine den Rückzug abdecken und wir blitzschnell wieder formiert sind. Nachdem der Beton hinten angerührt ist, bekommen wir den Ball zurück, Franzi läuft ein und zieht die Abwehr auseinander, Melli nutzt den freien Raum, diesmal kommt der Zauberpaß von Emilia, Melli läßt sich nicht halten – Ausgleich zum 10:10. Die Halle tobt jetzt, Erftstadts „9“ mit gutem Auge auf den Kreis, Melina kann sich nur durch Halten retten, der fällige fünfte 7-Meter für Erftstadt. Die vierte Schützin tritt an, doch mittlerweile scheint Hannah das Tor beim 7-Meter komplett auszufüllen, der Versuch oben geht drüber. Yasmine reißt mit ihrem 1 gegen 1 die Lücke, paßt auf Emilia, die zum Solo antritt und cool wie ein Eiszapfen abschließt – 11:10, noch 8 Minuten, jetzt volle Konzentration. Erftstadt gleicht mit Distanzwurf aus und hat im Bodenkampf danach die besseren Nerven und den Ball, schafft links die Überzahl und geht wieder in Führung – 12:11 für den HVE, so schnell wendet sich das Blatt, ein weiteres Tor und Erftstadt wäre Meister. Das Spiel ist jetzt hart, aber jederzeit fair und wird vom guten Schiedsrichter trotz der tobenden Stimmung in der Halle umsichtig geleitet. Franzi macht ihrem Namen als Dribbelkönigin alle Ehre, tanzt 2 Gegenspieler aus und kann nur durch Halten gestoppt werden – der nächste 7-Meter für uns. Michael nimmt ein TO und wechselt die Torhüterin, aber Marei ficht das überhaupt nicht an, die wirft jetzt genauso platziert wie vorher, nur einfach in die andere Ecke – 12:12. Erftstadt jetzt mit wütendem Gegenangriff, dabei etwas übermotiviert – die Aktion mündet nach einem Zusammenprall in einer unkoordinierten Fallbewegung und leider einer Verletzung. Während Yasmine nach kurzer Zeit und einem Eisbeutel wieder steht, muß ihre Gegenspielerin weiterbehandelt und ausgewechselt werden. Applaus begleitet sie auf die Bank, Erftstadt füllt auf, Ball für uns. Emilia sagt erneut „Paris“ an, Yasmine, ihres Schattens ledig, nutzt die Riesenlücke, die jetzt durch den Spielzug entsteht, konsequent aus und läßt der Torhüterin nicht den Hauch einer Chance – 13:12 Führung, 04:30 noch zu spielen. Erftstadt gibt sich nicht auf, hat auch im Hinspiel zum Schluß nochmal aufgedreht und holt tatsächlich den nächsten 7-Meter raus. Die „lebendige Wand“ tritt 2 Schritte raus, lenkt den harten Wurf an die Latte und hält damit ihren vierten (!!!) 7-Meter, Ball für uns. Das Publikum skandiert „Defense, Defense“, und tatsächlich mobilisiert Erftstadt die letzten Kräfte, kein Durchkommen in der Mitte, links ist zu, wieder ist es Franzi, die die Verantwortung übernimmt und zum Solo ansetzt, Marei setzt die Sperre, Franzi spielt den Ball auf Melli und diese holt den nächsten (und letzten) 7-Meter raus. Wieder tritt Marei an; wenn sie trifft, braucht Erftstadt 4 Tore, das ist 2 Minuten vor Schluß doch schon sehr viel. Marei ist immer noch „coole Sau“ und hält tatsächlich die 100%-Quote – 14:12 für Palmersheim, die mitgereisten Fans feiern bereits, doch noch ist das Spiel nicht zu Ende. Erftstadt spielt den Angriff aus, doch den guten Wurf von außen entschärft unsere Hannah, jetzt haben wir es fast in der Hand. Der letzte TVP-Angriff, einmal rum, das zweite Mal rum, da setzt Adriana dem Spiel die Krone auf und macht das für sie typische Tor – 1 gegen 1, vorbei und von links unhaltbar oben rechts rein – DAS IST ES, der TVP ist Meister. Die letzten Sekunden werden runtergezählt, danach brechen alle Dämme, Freudentränen fließen, wir klatschen uns ab und formieren uns zum letzten Kreistanz der Saison, diesmal mit allen Trainern. Von der Tribüne dröhnt „Stand up for the champions“, dort liegen sich die Eltern in den Armen und können das glückliche Ende des Märchens noch nicht fassen, das im Mai 2014 mit einer Krisensitzung in einer stickigen Umkleide der PWH seinen Anfang nahm…
Der erste Gratulant ist, sportlich fair, Michael Bunk, der seinen Abschied aus Erftstadt nimmt und jetzt von seiner Mannschaft mit einem Rosenspalier für viele erfolgreiche Jahre geehrt wird.
Dieses Spiel bot einfach ALLES, was Handball ausmacht, Tempo, Spielfreude, bei aller Härte sportliche Fairness, tolle Kombinationen, Kampf, Spannung bis zum Schluß, 2 Gegner auf Augenhöhe. Herz, was willst Du mehr? Die beiden besten Mannschaften der Saison haben ein Finale auf einem sehr hohen Niveau ausgespielt und Werbung für ihre Sportart, insbesondere aber auch für Mädchenhandball, gemacht. Kommentar eines extra angereisten erstmaligen Besuchers eines Handballspiels: „Ich hätte nicht gedacht, daß Mädchenhandball so toll ist!“
Wir sehen Erftstadt bereits am nächsten Wochenende in Waldbröl wieder, wo beide Mannschaften den Kreis BES bei der Mittelrhein-Talentiade sehr würdig sportlich vertreten. Michael, ich hoffe auf mindestens ein Finalspiel zwischen uns, unsere beiden Mannschaften brauchen sich vor keinem Gegner zu verstecken.
Gefeiert wurde anschließend mit „Happy-Meal“ bei McDonalds. Das Strahlen dürfte bei allen Beteiligten mindestens bis Dienstag angehalten haben…
Die KREISMEISTER: Hannah (4 gehaltene 7-Meter!), Helen; Adriana (3), Emilia (2), Franka, Franzi, Larissa, Laura, Maike, Marei (5/4), Melli (1), Nina, Yasmine (4)
Trainer: Björn, Peter, Tanja